Ist die Tendabahn bald Geschichte?

„Wir protestieren gleich nach der Ankunft in Nizza für den Erhalt der Tendabahn“. Eine junge Frau bittet im Zug bei einer Reisegruppe aus Hamburg um Unterstützung. Sie hofft, dass die von der eindrucksvollen Zugfahrt schwärmenden Touristen sich solidarisch zeigen und mit ihr nach der Ankunft in Nizza gegen die Einstellung der Bahnstrecke nach Tende protestieren. Irritation macht sich breit: „Wie kann man so etwas Schönes abschaffen?“, fragt einer der deutschen Urlauber. Helfen können wird er nicht. Seine Reisegruppe will heute noch mit dem Bus nach San Remo, da bleibt keine Zeit für Solidaritätsbekundungen.

Die Tendabahn ist eine grenzüberschreitende Bahnstrecke vom französischen Nizza nach Cuneo in der norditalienischen Region Piemont. Ihren Namen verdankt sie dem Städtchen Tende und vor allem dem Tendapass (1871 m.ü.M), den die Strecke in einem über acht Kilometer langen Tunnel unterquert. In Breil-sur-Roya zweigt der Streckenast ins italienische Ventimiglia ab. Die Zuständigkeit für die Bahnstrecke teilen sich zwei Bahngesellschaften. Zwischen Nizza und Breil-sur-Roya gehört sie der französischen Staatsbahn SNCF. Die Gleise zwischen Cuneo und Breil sowie weiter nach Ventimiglia betreibt die italienische Bahngesellschaft RFI. Die Tendabahn war nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg erst im Jahr 1979 wiedereröffnet worden.

Zug im Bahnhof Tende in Frankreich
Der „Train des Merveilles“ wartet im Bahnhof Tende auf Reisende (20.09.2014)

„Ob und wie es mit der Tendabahn weiter geht, ist völlig unklar“, berichtet SNCF-Sprecher Françoise Merck. Die Zukunft der Bahn hänge von einem Abkommen zwischen Frankreich und Italien ab. Doch ob das verlängert wird, ist noch völlig offen. „Zurzeit diskutieren die Länder über notwendige Sanierungsarbeiten“, sagt Merck.

Aufwändige Trassierung verursacht hohe Unterhaltskosten

Die imposant in den felsigen Ausläufern der Alpen trassierte Bahnstrecke gilt als Meisterwerk der Ingenieurkunst. Insgesamt 24 zum Teil aufwendig trassierte Tunnel gibt es allein auf der Stammstrecke. Zwei Tunnel zwischen Nizza und Breil gehören zu den längsten im Streckennetz der SNCF. Es gibt zahlreiche Brücken und Viadukte. Die Bahnlinie überwindet fast 1.000 Höhenmeter.

Zum Schutz vor Erdrutschen in der geologisch aktiven Region haben die Bahnbetreiber außergewöhnliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen: Die Bahnlinie verfügt vor allem im nordöstlichen Abschnitt über elektromagnetische Zäune neben dem Gleiskörper. Die registrieren jeden Steinschlag und schalten alle Signale entlang der Linie auf Rot – solange, bis die Gefahr beseitigt ist.
Aufwendige Trassierung an der Tendabahn zwischen St-Dalmas-de-Tende und Fontan-Saorge
Eindrucksvoll trassiert: Zwischen St-Dalmas-de-Tende und Fontan-Saorge fahren die Züge durch Kehrtunnel und über viele Brücken (20.09.2014)

Trassierung, Kunstbauten und Sicherungstechnik verursachen hohe Wartungskosten, die durch die mageren Einnahmen aus dem Zugbetrieb kaum gedeckt werden können. Nur vier Zugpaare verkehren im Sommer 2014 zwischen Nizza und Tende, zwischen Cuneo und Ventimiglia sind es sogar nur zwei durchgehende Zugverbindungen am Tag. Schülerverkehr und Pendler sind das Hauptklientel. Hinzu kommen im Sommer zahlreiche Touristen.

Beliebtes Touristenziel

Für Feriengäste ist die imposante Bahnstrecke ein beliebtes Ziel. In einigen Zügen gibt es eine Reiseführerin, die während der Zugfahrt hinauf in die Seealpen die Sehenswürdigkeiten rechts und links der Strecke erklärt. Ein Grund, warum sich auch der Hamburger Reiseveranstalter immer wieder für die Tendabahn als Programmpunkt entschied. Doch die ungewisse Zukunft der Linie verunsichert den namhaften Anbieter von Busreisen. Deshalb hatte er vorgesorgt und vorab ein Alternativprogramm zusammengestellt, falls die Bahn doch nicht fährt. „Der Betrieb hier kann ja jederzeit enden“, ahnt die Reisebegleiterin.
Station La Brigue an der Tendabahn
Station La Brigue an der Tendabahn (20.09.2014)

„Hier kann jederzeit Schluss sein“, bestätigt SNCF-Sprecher Françoise Merck die Befürchtungen der deutschen Reiseleiterin. Seit 2012 ist der Fahrplan der Strecke immer mehr ausgedünnt worden. Dagegen hatten die Protestler Unterschriften in den Anliegergemeinden gesammelt. Sie wissen, dass die Einstellung der Bahn die Menschen aus der Region von der Hauptverkehrsachse entlang der Mittelmeerküste abschneiden würde. Und die Schließung hätte auch Auswirkungen auf den Tourismus. Der Hamburger Reiseveranstalter jedenfalls wird seine Zwischenstopps auf dem Weg zur Côte d’Azur künftig woanders einplanen.

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